Nachlese zur Mitgliederversammlung
Stellt euch eine Mitgliederversammlung vor, an der ich am Abend des zweiten Tages, also etwa nach 80 Prozent der Debatten-Zeit auf Peter stoße, der zufrieden lächelnd vor einer Bierflasche im Foyer sitzt. Wir unterhalten uns über alles mögliche (nur nicht die Veranstaltung), lachen, haben Spaß, machen Witze zu zwischenmenschlichen Themen, die alle (nur nicht die Beteiligten der Veranstaltung) betreffen. Im weiteren Verlauf gesellen sich noch acht Menschen zu uns, haben Spaß mit uns und Olafs trockenem Humor, machen zum Schluss eine Runde, wo jeder seinen Lebenslauf erzählt und entdecken in dem Kreis, was für Genialität in jedem von uns steckt.
Wo fang ich an? Am besten beim Bericht der Mediatoren, für die Jutta sprach. Zusammen mit Nicolaus und Tatjana ist sie auf der Suche nach weiteren Aktiven. Ich fühle mich angesprochen. Vor allem von ihrer faszinierenden Rede über die Achtsamkeit beim Kommunizieren. Das ist für mich eine Vervollständigung des Vortrags von Marshall Rosenberg, mit dem mich bereits mein spontaner Chauffeur Volkmar bei der Hin– und Rückreise beglückte. Es kommt also darauf an, wie ich kommuniziere, und weniger was. Für mich löste das eine ganze Kette von Erkenntnissen aus. Es erinnerte mich an die Mitgliederversammlung vor einem reichlichen Jahr. Da gab es jemanden, der den Mut hatte in das betretene Schweigen auf die Frage, wer als Bundesvorstand kandidieren möchte, zu antworten: „Das was ich mitbringe, ist ein Koffer voller Kommunikations-Methoden, die dazu geeignet sind, dass verschiedene Menschen miteinander klar kommen und an einem Strang ziehen. … Stell Dir vor, es wäre Bundesmitgliederversammlung und jeder will hin!“. Interessant ist das deshalb für mich, weil dies jetzt eine Versammlung war, die genau diesem Bild entspricht. Solch positive Macht können Gedanken und Worte entfalten, wenn sie bei anderen auf fruchtbaren Boden fallen!
Zum Thmea Finanzkonzept gab es eine „Fischbecken–Diskussion“: Der Redekreis im Zentrum der Versammlung bestand aus sechs Stühlen für selbst ernannte Experten, weiteren zwei Stühlen für „Unwissende“ (deren Aufgabe es war, Verständnisfragen zu stellen) und nochmals zwei Stühlen für wechselnde Besetzung von Menschen aus dem Auditorium (die etwas zum Thema beitragen wollten). Der Vorstand eröffnete die Runde und was dann folgte, war beiendruckend: innerhalb der geplanten Dreiviertelstunde redete immer jeweils genau einer. Alle anderen hörten mit einer derart konzentrierten Stille zu, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle wollten zur Lösung des Problems beitragen. Keine Besserwisserei. Kein „Auf-Einander-Rumhacken“. Kein Ping-Pong-Spiel.
Aus der Erfahrung der zähen Versammlungen hat der Bundesvorstand ein professionelles Moderations-Team gesucht und mit Ulrike und Reinhold gefunden. Ulrike hat früher in Gorleben die Widerstandsbewegung gegen die Atommüll-Transporte maßgeblich mit koordiniert. Sie hat also Erfahrung damit, an die 2000 Individuen bestmöglich zu einvernehmlichen Handeln zu bewegen. Die vorangegangene Versammlung in Sonnerden war schon mal ein sehr guter Anfang und trotzdem wurde im Team mit sechs Menschen zur Vorbereitung weiter an der Struktur gefeilt. Im respektvollen Umgang miteinander ist es dadurch gelungen, Wogen zu glätten und auf lockere Art und Weise im Zeitplan zu bleiben. Und ich sage damit nicht, dass es leicht für die Beteiligten war.
Strukturell neu war unter anderem der Einstieg am Freitagabend: In der Mitte versammelten sich die Menschen, die sich zu den jeweiligen Fragen angesprochen fühlten („Wer ist unter 50 Jahre?“ – „Wer hatte einen Anfahrtsweg von über 400 Km?“). Zum weiteren miteinander „warm werden“ teilten wir uns in 7er Gruppen, inder jede Region vertreten war. So kamen wir für 20 Minuten mit Menschen in einen Austausch, die weitgehend unbekannt für uns waren. Ebenso neu war die Diskussion über die Anträge. Sie fand in Kleingruppen im Open-Space-Format statt. Somit war gewährleistet, dass sich dort jeweils Menschen zusammen fanden, die sich für genau dieses Thema interessierten. Die Diskussionen waren aufgrund der geringeren Gruppengröße dann auch richtig fruchtbar. Und das Ergebnis? Fast alle Anträge wurden wegen Unreife zurück gezogen.
Vor der Aufnahme der neuen Gemeinschaften am Samstagabend fand diesmal eine kleine, teils stille Andacht für zwei verstorbenen Mitglieder statt. Zusammen mit dem daran anschliessenden fröhlich-turbulenten Treiben der Neuen erinnerte dieser Block an die Jahrhunderte alten Bräuche von naturverbundenen Stämmen und fühlte sich einfach sehr harmonisch an.
In einer Pause stieß ich auf Sandra, die mich fragte, ob ich nicht den Trick wüsste, wie man Luftballons einfach zubinden könnte. Mit einer Helferin stand sie vor ein paar Gasflaschen in Camping-Größe und blies damit rote Herz-Ballons mit Helium auf. Zum zweiten Mal nach SonnErden, wo sie einen Bändertanz mit uns zelebrierte, ertappte ich mich dabei, dass ich in mich hineinschmunzelte: Wie soll solch ein offensichtlich kindliches Ritual bei den Menschen hier Anklang finden? Jeder, der wollte, konnte einen Herz-Lufballon an jemanden im Raum geben, für den er Dank empfand. Der Beschenkte durfte auch weiterschenken. Alle durcheinander. Und zum zweiten Mal musste ich meine Meinung vollständig revidieren – es kam nicht nur gut an, sondern diese Geste schaffte eine derart von Dankbarkeit und Liebe getragene Stimmung, wie kein anderes Element dieser Mitgliederversammlung. Selbst jetzt, wo ich das schreibe und noch mal durchlese, muss ich den Kopf schütteln, weil ich es nicht glauben könnte, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.
Die Veranstaltung wurde am Sonntagmittag durch ein Ritual abgerundet, was die Arbeitsgruppe „Visionsfindung“ im Open-Space erarbeitet hatte. Angefangen durch eine harmonisierende Stille und direkt im Anschluss getragen von einem unglaublichen Klang, welcher entstand, indem jedes Mitglied einen Ton von sich gab, konnte jeder danach Begriffe in den Raum geben, wie „Freude“ – „Miteinander“ u.ä., die für eine lichtvolle Zukunft stehen. Bemerkenswert, dass Dirk zum Schluss noch auf die Idee „Gesundheit“ kam. Wie vereinbart lichtete sich in diesem Moment der graue Nebel im Tal und die Sonne brachte das Gold des Herbstes zum Leuchten.
Ich kehre noch einmal zu Juttas Vortrag über Achtsamkeit in der Kommunikation zurück. Sie beendete ihn mit der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass es zumindest zwei Worte gibt, deren Gebrauch mit Sicherheit unschädlich ist – selbst bei inflationärem Gebrauch: BITTE und DANKE. Also: Danke, danke, danke allen Beteiligten für diese gelungene Veranstaltung. Bitte weiter so!
—Martin R., Gemeinschaft Lausitzer Land
Eine Übersicht der Arbeitsgruppen findet sich 👉 hier.
Danke, danke, danke, lieber Martin, für diesen wundervollen Beitrag!
Lieber Martin, auch von mir einen herzlichen Dank für diesen herzwärmenden Bericht.